Hier finden Sie fachliche Informationen der Arbeitskreise Leben e.V. (AKL) zum Thema Suizid.
Selbstmord - Freitod - Suizid / Selbsttötung
Wenn ein Mensch sich selbst getötet hat, reden wir umgangssprachlich von Selbstmord. Der Begriff enthält den Wortteil Mord und lässt die Selbsttötung als eine Straftat, als ein Verbrechen aus niederen Beweggründen erscheinen. Selbsttötung ist kein Verbrechen! Das ist uns wichtig. Im Ausdruck Selbstmord steckt die jahrhundertelange Verdammung der Betroffenen und Diskriminierung der Angehörigen z.B. durch Obrigkeit und Kirchen. Er spiegelt nicht das psychische Leiden, die Verzweiflung und die Not des Menschen wider, die der Selbsttötung vorausgehen.
Der Begriff Freitod wird vielfach in der Literatur und in den Medien verwendet. Er gibt vor, Selbsttötung sei ein frei gewähltes Verhalten, das möglicherweise auf rationalen Abwägungen und aus Freiheit heraus geschieht. Die Macht, sein Leben durch die eigene Hand zu beenden, zählt zu den menschlichen Entscheidungsfreiheiten. Im Begriff Freitod wird die Selbsttötung als ein heldenhafter Akt der Befreiung oder Erlösung dargestellt. Diese Vorstellung ist nicht hilfreich; sie beschönigt den Sachverhalt, dass ein suizidaler Mensch sich in einem Zustand höchster existenzieller Not und starker Einengung befindet, aus der heraus er keinen anderen Ausweg sieht, als sich das Leben zu nehmen.
Mit dem Wissen über die mitschwingenden Bedeutungen der verschiedenen Begrifflichkeiten, verwenden die Arbeitskreise Leben in der Regel die Begriffe Selbsttötung oder Suizid.
Suizid (englisch: suicide) stammt aus dem Lateinischen suicidium. Das Wort setzt sich zusammen aus sui = sich oder selbst und dem Wort caedere = schlagen, töten. Damit lautet die konkrete Übersetzung des Begriffes Suizid schlicht Selbsttötung oder sich selbst töten.
Gemeint ist eine Handlung, bzw. das gezielte Unterlassen einer Handlung, die das eigene Leben beenden. Der Begriff Suizid/Selbsttötung erklärt nur den Vorgang, nicht die Ursachen und ist damit der wertfreieste und neutralste Begriff, der weder eine verbietende, diskriminierende noch eine glorifizierende Mitbedeutung hat.
(Quelle: DÖRING, Gerd u.a.; DGS (Hg.) NaSpro (Hg.) (2009): Zwischen Selbstzerstörung und Lebensfreude. Hinweise für Suizidprävention bei jungen Menschen. Berlin)
Suizidgedanken
Fast jeder Mensch hat schon einmal darüber nachgedacht, was wäre, wenn er nicht mehr leben oder sich selbst töten würde. Solche Gedanken sind im Laufe des Lebens und vor allem in der Jugendphase normal. Meist tauchen sie in schwierigen Lebensphasen auf, in denen sich etwas oder vieles verändert, Probleme zusammenkommen und es scheinbar keine einfache Lösung gibt.
Der Gedanke daran, sein Leben zu beenden, erscheint dann oft als Ausweg, als Lösung oder Ende der Probleme und der kaum aushaltbaren Gefühle. Wenn die Gedanken sich aufdrängen, sozusagen ein Eigenleben entwickeln, schaffen es viele Menschen nicht mehr, sich aus dem Netz solcher Gedanken zu lösen und unternehmen dann eine Suizidhandlung. Jede Selbsttötungshandlung bewegt sich zwischen dem Wunsch zu sterben und dem Wunsch, weiterleben zu wollen, aber nicht so wie bisher. Dann kann es entlastend sein, sich jemandem mitzuteilen. Jemanden zu haben, der zuhört und versteht, der ernst nimmt, Interesse hat und nachfragt.
Eine mögliche Entwicklung in und aus der (suizidalen) Krise
Die Auslöser für eine Krise sind vielfältig - jeder Mensch ist einmalig! Ein paar Beispiele wollen wir nennen.
- Typische Krisen im Laufe der normalen Entwicklung im Lebens können ausgelöst werden in Übergangssituationen wie z.B.: Schuleintritt, Schulwechsel, Pubertät, Wechsel in Beruf und Studium, erste Beziehungserfahrungen, Heirat, Geburt des ersten Kindes, Berufswechsel, Auszug der Kinder, Tod von Partner*in, Renteneintritt, körperliche und seelische Veränderungen im Alter....und anderes mehr.
- Typische Krisen durch eine Veränderung der "äußeren" Lebensumstände können ausgelöst werden durch: Krankheiten und Unfälle (bei sich bzw. nahestehenden Menschen), Trennung und Scheidung, Konflikte oder Veränderungen in der Familie oder sozialen Beziehungen, Liebeskummer, Prüfungs- und Versagensängste, Gewalterfahrungen, Kündigung des Arbeitsplatzes, finanzielle Probleme, Umzug ... und anderes mehr.
Wenn ein Mensch für Ereignisse in seinem Leben keinen erprobten Lösungsweg zur Verfügung hat und keine neuen Lösungsideen entwickeln kann, spricht man gewöhnlich von einer Krise.
Warnsignale
Die folgenden Punkte können darauf hindeuten, dass jemand suizidgefährdet ist:
- Die Person zieht sich immer mehr zurück, meidet den Kontakt zu Freund*innen oder bricht Kontakte zu nahestehenden Menschen ab.
- Sie reagiert auf Nachfrage mit „Ach, du kannst mir auch nicht helfen; niemand kann mir helfen; ich bin egal!“.
- Sie verhält sich auffällig anders als sonst, wirkt sehr bedrückt oder aggressiv und äußert sich immer pessimistischer und hoffnungslos.
- Sie hat kein Interesse mehr an bisherigen Hobbys und vermeidet gemeinsame Aktivitäten.
- Sie macht sich plötzlich nichts mehr aus liebgewonnen Dingen und verschenkt z.B. ihre Lieblings-CDs oder -Kleidungsstücke.
- Sie kann nicht mehr gut schlafen und isst fast nichts mehr.
- Sie verschlechtert sich zunehmend in der Schule/in der Ausbildung/im Beruf und kann sich nicht mehr konzentrieren.
- Sie spricht sehr oft über den Sinn des Lebens und den Tod oder beschäftigt sich mit diesen Themen im Internet, Videos, Musik oder Büchern.
Akute Gefahr besteht vor allem, wenn:
- Jemand Abschiedsbriefe schreibt.
- Jemand Tabletten sammelt oder sich eine Waffe besorgt, sich nach Zugfahrplänen erkundigt oder sich häufig an Bahngleisen oder Brücken aufhält.
- Jemand einen Plan hat, wie er*sie sich das Leben nehmen will.
- Jemand weggetreten oder bewusstlos aufgefunden wird.
Es ist falsch zu glauben, dass Menschen, die von Suizid sprechen, es nicht tun!
Es ist auch falsch zu glauben, dass ein*e Jugendliche*r, der*die beschlossen hat, sich das Leben zu nehmen, nicht mehr von seinem*ihrem Vorhaben abzubringen ist. Im Inneren sind die Betroffenen meist zwiegespalten: Ein Teil will sterben und ein Teil will leben. Diesen Teil, der leben will, gilt es zu stärken.
Hierauf sollte im Umgang mit suizidgefährdeten Menschen geachtet werden:
Die Selbsttötungsandeutungen oder Ankündigungen unbedingt ernst nehmen, besonders wenn sie konkret sind.
- Gesprächsbereitschaft signalisieren, aufmerksam zuhören und Interesse zeigen für die Beweggründe und die Not des Gegenübers.
- Wer mit seiner inneren und äußeren Zuwendung da ist, kann der betroffenen Person das Gefühl geben, dass sie wichtig ist und dass sie verstanden wird.
Was nicht hilft:
- Ratschläge und moralische Vorhaltungen erteilen oder die Probleme verharmlosen.
- Aufmuntern wollen durch Aussagen, wie z.B.: „Das ist doch kein Grund, sich umzubringen“ oder „Lass Dich nicht so hängen“ oder auch „Kopf hoch!“
Die Suizidgedanken und -phantasien offen ansprechen.
- z.B.: „Ich mache mir Sorgen um dich. Denkst du manchmal daran, dich umzubringen?“
- Damit wird Interesse und Bereitschaft erkennbar und die suizidgefährdete Person fühlt sich ernst genommen und entlastet.
Nur eine verbindliche und einlösbare Absprache treffen.
- z.B.: „Ich rufe heute Abend um 19.00 Uhr wieder an“ oder „Ich komme morgen um 15.00 Uhr wieder und habe dann zwei Stunden Zeit“.
- Begrenzte und einlösbare Angebote, die verbindlich und verlässlich eingehalten werden, geben Sicherheit.
- Wer am Leben verzweifelt und über Suizid nachdenkt, hat ein anderes Zeitgefühl. Eine Verspätung kann die Erfahrung und das Gefühl „Ich bin sowieso nicht wichtig“ verstärken.
Auch von eigenen Gefühlen ehrlich sprechen.
- Suizidgefährdete und Menschen nach einem Suizidversuch brauchen nicht Ruhe und Schonung, sondern Respekt und Offenheit.
- Eigene Gefühle von Betroffenheit, Wut, Angst, Zuneigung, Hilflosigkeit oder Schuld dürfen ausgesprochen werden.
Keine Geheimnisse für sich behalten, wenn sie zum Tode führen können.
- Wenn sich jemand mit der Bedingung öffnet, dass niemand sonst davon erfahren darf, kann dies zu einer schwierigen Situation führen.
- Man sollte sich nicht unter allen Umständen an das Versprechen gebunden fühlen, wenn es lebensgefährlich werden kann.
Sich Rat und Hilfe von außerhalb holen, wenn man sich überfordert fühlt.
- Wie viel und in welchem Rahmen man selbst helfen kann, hängt auch von der eigenen Situation ab.
- Suizidgefährdete Menschen befinden sich selbst in einer Grenzsituation. Das erzeugt auch bei den Nahestehenden Gefühle von Angst und Überforderung.
- Diese Grenzen sollten wahr- und ernstgenommen werden.
Die suizidgefährdete Person ermutigen, Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
- Konkrete Angaben von Adresse und Telefonnummer einer entsprechenden Beratungsstelle.
- Möglich und hilfreich kann es auch sein, die betroffene Person bei der Kontaktaufnahme zu unterstützen bzw. zu begleiten.
Jede Person ist für ihr Leben selbst verantwortlich.
- Andere können dazu beitragen, den Lebenswillen eines gefährdeten Menschen zu stärken und eine „Brücke“ bauen, damit er wieder Fuß fassen kann in seinem Leben.
- Niemand aber kann ohne seinen eigenen Willen im oder am Leben gehalten werden.
Irrtümer über Suizid
Falsch: Wer vom Suizid spricht, tut es nicht.
Richtig: 80% der Menschen, die einen Suizid begehen, kündigen diesen vorher an und geben damit ihrer Umwelt eine Chance, ihnen zu helfen.
Falsch: Wer sich wirklich umbringen will, ist nicht aufzuhalten.
Richtig: Die meisten Suizide werden im Rahmen von Krisen verübt. Eine entsprechende Krisenbewältigung kann Selbsttötung verhindern.
Falsch: Wer an Suizid denkt, will sich nicht unbedingt das Leben nehmen.
Richtig: Die meisten Menschen, die an Selbsttötung denken, schwanken zwischen dem Wunsch zu leben und dem zu sterben; sie „spielen mit dem Tod“, und sie überlassen es den anderen, sie zu retten. Kaum einer nimmt sich das Leben, ohne seine Gefühle einem anderen zu offenbaren.
Falsch: Ein Suizidversuch ist nur Erpressung.
Richtig: Zweifellos setzt ein Suizidversuch die Umgebung unter starken Druck. Dies ist jedoch häufig nur ein Hinweis darauf, wie groß die Not des Betroffenen ist.
Falsch: Suizid gibt es öfter bei den Reichen oder – umgekehrt – fast ausschließlich bei den Armen.
Richtig: Suizid ist weder das Problem der Reichen, noch der Armen. Er kommt in allen Bevölkerungsschichten gleichermaßen vor.
Falsch: Suizid ist erblich – sozusagen ein „Familienübel“.
Richtig: Er ist nicht erblich, sondern eine individuelle Erscheinung.
Falsch: Alle, die Suizid begehen oder begehen wollen, sind psychisch krank, also verrückt.
Richtig: Ein suizidaler Mensch ist zwar äußerst unglücklich, aber nicht notwendigerweise psychisch krank. Allerdings können Suizidgedanken oft bei einer Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen als Symptom auftreten.
Falsch: Zu Weihnachten und Neujahr sowie an grauen Novembertagen sind die meisten Suizide zu verzeichnen.
Richtig: In der Suizidhäufigkeit sind ein signifikanter Gipfel im Frühsommer und ein kleinerer Gipfel im Spätherbst nachgewiesen. Nach Festtagen besteht allerdings eine gewisse Häufung von Krisen.
Falsch: Wenn man jemanden auf Suizidgedanken anspricht, bringt man ihn erst auf die Idee sich umzubringen.
Richtig: Die Möglichkeit, Suizidgedanken mit jemandem zu besprechen, bringt den Betroffenen meist eine große Entlastung.
Es gilt: Darüber reden kann Leben retten!
Zahlen und Fakten
- Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen zwischen 15 und 29 Jahren (WHO 2014).
- In Deutschland nehmen sich jedes Jahr etwas mehr als 10.000 Menschen das Leben.
- Pro Jahr unternehmen 100.000 bis 150.000 Deutsche einen Suizidversuch.
- Etwa alle 53 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben, alle 5 Minuten, schätzen Fachleute, versucht es jemand.
- In Deutschland sterben mehr als doppelt so viele Menschen durch Suizid als durch einen Verkehrsunfall.
- Weitaus mehr Jungen und Männer nehmen sich selbst das Leben.
- Knapp zwei Drittel aller Suizidenten sind männlich.
- Die Rate der Suizidversuche ist dagegen bei Mädchen und Frauen viel höher.
- Schätzungen zufolge liegt die Zahl der Suizidversuche bei Jugendlichen um ein Zehnfaches höher als der eigentliche Suizid.
- Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation nehmen sich jährlich etwa 1 Million Menschen weltweit das Leben. Dies entspricht fast 2.800 Suiziden pro Tag.
- Von einem Suizid sind etwa sechs Menschen (Angehörige, Freund*innen, Bekannte) direkt betroffen, die oftmals kaum wissen, wie sie weiterleben können.
- In acht von zehn Fällen kündigt der*die Betroffene seine*ihre Suizidabsichten vorher an.
- 80 % aller Bundesbürger haben schon einmal mit dem Gedanken gespielt, sich selbst zu töten (BDP).
- Jeder dritte Suizid geschieht von Menschen über 65 Jahre.
Weitere Zahlen, insbesondere regionale Statistik finden Sie auf den Regionalseiten der einzelnen Beratungsstellen im Bereich Download / Jahresbericht.